Die Engelsberger Krippe hat eine bewegte Geschichte, die vor
mehr als 170 Jahren beginnt.
Sie weist gleich zwei Ortswechsel auf und legt so insgesamt 56
km zurück, bis sie im Jahr 2021 im Pilgerhäusl Hirschfelde eine
neue Heimat findet.
Ein Hirtenjunge mit Jahreszahl
Die
Geschichte der Engelsberger Krippe beginnt vermutlich 1848 in
Kratzau/Chrastava, einem kleinen Städtchen am Fuße des
Isergebirges/Jizerské hory. Die Jahreszahl ist nicht verbrieft,
sie befindet sich jedoch auf der Rückseite einer Krippenfigur.
Das kann zwar Zufall sein, aber auch Fachexperten ordnen die
Krippe dem 19. Jh. zu. Der filigrane Stil deutet auf den
Ursprung aus einer Kratzauer Malerwerkstatt hin. Der Name des
Künstlers ist leider nicht überliefert.
Wenzel Ansorge – ein Krippenliebhaber
Mit diesem Foto beginnt die historische Spur, die wir
verlässlich bis ins Heute nachverfolgen können. Es zeigt den
Besitzer der Krippe: Wenzel Ansorge mit seiner Familie. Er
wuchs in Engelsdorf/Andělská Hora, einem Ortsteil von Kratzau
auf.
Haus Nr. 39 von Engelsberg
In diesem Haus hat die mechanische Krippe einst gestanden. Von
Generation zu Generation wurde weitererzählt, dass ursprünglich
ein großes Gewicht die Krippe antrieb. Es sank durch ein
Deckenloch von der Stube bis in den Keller herab und bewegte so
ein großes hölzernes Wellenrad, das wiederum mit vielen
Schnüren kleinere Laufräder antrieb.
Erster Ortswechsel
Im Jahr 1901 siedelte Wenzel Ansorge nach Kunnersdorf a.d.E. um
– und mit ihm die Engelsberger Krippe. Gemeinsam mit Bruder
Hugo hatte der Unternehmer im Pließnitztal die Mittelmühle
erworben, um eine Grobgarnspinnerei zu betreiben.
Platzmangel und seine Folgen
Bis 1945 wurde die Krippe jedes Mal zu Weihnachten in der
Ansorge-Villa aufgestellt. Dafür gibt es sogar noch einige
Zeitzeugen, wie Monika Ansorge und Regina Kurtz, zwei
Urenkelinnen von Wenzel Ansorge. Beide erinnern sich, wie sie
als Kinder staunend vor der Krippe standen. Nach dem Krieg
wurde der Platz aufgrund der aufgenommenen Flüchtlinge dafür zu
knapp. Deshalb stellte man nur noch ein Bruchteil der Figuren
auf – ganz ohne Mechanik. Die Holzunterlage blieb bis heute
erhalten.
Zweiter Ortswechsel
Im April beschließt Monika Ansorge, die Papierfiguren in die
Hände des Pilgerhäuslvereins zu geben. Dort würde sich die
Engelsberger Krippe in die Schar von über 80 Papierkrippen
einreihen, die der Verein bisher gesammelt hat und die er jedes
Jahr in wechselnder Folge ausstellt. Was die Erbin der Krippe
nicht ahnen konnte: Die Übergabe löst nicht nur Freude, sondern
einen unheimlichen Elan aus. Denn als am 1. Mai 2021 die alte
Holzkiste mit den Papierfiguren ins Pilgerhäusl einzog, war das
Staunen groß: Die Engelsberger Krippe ist keine Krippe wie jede
andere; sie ist ein Unikat! Denn die 150 Papierfiguren sind
nicht nur handbemalt, sie sind auch von hohem künstlerischen
Wert. Deshalb war schnell klar: Dieses Meisterwerk muss wieder
eine neue Mechanik erhalten.
Familienzusammenführung
Wenig später, am 13. Juni 2021, erlebt der Pilgerhäuslverein
eine zweite Überraschung: Durch Zufall – oder war es Fügung? –
erfährt Regina Kurtz von ihrem Bruder, dass noch weitere
Krippenfiguren und Teile der alten Mechanik in seinem Keller
lagern. Er hatte sie vor Jahren zu Weihnachten aufgebaut und
auch beweglich gestaltet. Schnell wird festgelegt: Auch diese
Krippenelemente sollen ins Pilgerhäusl kommen. Zwei Tage später
stirbt der Bruder und sein Wille geht schon am 22. Juni 2021 in
Erfüllung. Bei der anschließenden Restaurierung wurden beide
Teile der Krippe wieder zusammengeführt.
Wie heute üblich
Kaum übernommen beginnen wir, schon über den Wiederaufbau
nachzudenken. Wie es heutzutage auch in Museen üblich ist,
wurden zunächst alle Figuren professionell gescannt und digital
archiviert. Das erleichterte auch die Planung, denn mit den
digitalen Objekten ließ sich schnell ermitteln, wie viel Platz
die 250 Figuren benötigen.
Bau des Untergestells
Bevor die Krippe Schritt für Schritt wieder aufgestellt werden
konnte, brauchte sie natürlich ein stabiles Untergestell. Im
Juni hieß es deshalb: sägen, leimen, zusammenfügen. Und schon
vier Wochen später stand das Holzgerippe bereits fertig im
Gewölbe des Pilgerhäusls und wartet auf die kostbare
Bestückung. Da die Krippenfiguren in verschiedenen Maßstäben
(von 1:8 bis 1:32) gefertigt sind, lag es nahe, sie nach Größen
geordnet auf verschiedenen Höhen anzuordnen. Deshalb werden auf
dem drei Meter langen und ein Meter tiefen Untergestell fünf
Terrassen aufgesetzt.
Altengerechte Konstruktion
Anders als bisherige bewegliche Krippen, die in der Regel auf
einer großen Platte montiert sind, besteht die Engelsberger
Krippe aus 20 einzelnen Segmenten. Diese haben jeweils eine
Fläche von 75 x 20 cm und können einzeln eingesetzt bzw. wieder
entnommen werden. Der Vorteil dieser Konstruktion liegt in der
bequemen Wartung. Man muss bei Reparaturen nicht unter den
Tisch kriechen, sondern kann einfach die betreffende Einheit
herausheben. Schließlich muss man bedenken, dass man älter
wird...
20 Segmente in 20 Wochen
Das Ziel war klar: Bis zum vierten Advent sollte die
Restaurierung der Engelsberger Krippe abgeschlossen sein. Das
ergab eine einfache Rechnung: Jede Woche musste eines der 20
Segmente fertigwerden. Und es gab kaum Vorlagen. Von der
ursprünglichen Mechanik der Engelsberger Krippe sind nur fünf
Einheiten erhalten geblieben. Vieles musste neu ausgedacht
werden. Der Arbeitstisch gibt einen kleinen Eindruck, wie
vielfältig die Materialien sind, die zum Einsatz kamen. Allein
neun Sorten Leim und zwölf verschiedene Arten von künstlichem
Gras wurden vorgehalten.
Krippenlandschaft auf engstem Raum
Neben der Mechanik musste auch die Krippenlandschaft völlig neu
gestaltet werden. Die Herausforderung bestand darin, auf
engstem Raum die fünf Terrassen harmonisch miteinander zu
verbinden. Alle sichtbaren Flächen wurden aus Styrodur
gefertigt – ein Baumaterial, das eigentlich in der
Gebäudedämmung zum Einsatz kommt. Doch auch im Modellbau ist
der Hartschaum sehr beliebt, weil er sich gut schneiden,
schleifen und bemalen lässt. Die vierteilige Fotoserie zeigt
die einzelnen Arbeitsschritte, die bei der Erstellung der
Rückwand erforderlich sind: Zunächst wird eine Styrodurplatte
mit einem Heißschneidegerät auf das richtige Maß gebracht.
Danach werden Konturen herausgeschliffen und die gesamte Fläche
mit einem sogenannten Primer grundiert. Letzteres ist
erforderlich, damit das Styrodurmaterial farblich gestaltet
werden kann. Anschließend wird die Fläche mit Weißleim
eingestrichen und mit künstlichen Grasfasern bestreut. Ein
kleines feines Gerät sorgt dafür, dass die Grasfasern
elektrostatisch aufgeladen werden. Auf diese Weise richten sie
sich auf der Leimfläche auf und sehen damit echtem Gras recht
ähnlich.
Prothesen und andere Heilbehandlungen"
Der schönste Moment war immer, die Papierfiguren aufzustellen
und – wo nötig – mit der Mechanik zu verbinden. Doch allzu oft
mussten vorher noch „chirurgische Eingriffe" vorgenommen
werden. Denn wie bei dem hier abgebildeten Ziegenbock fehlte ab
und zu ein Körperteil. Also wurden Schwänze, Hörner, Ohren, ja
ganze Beine rekonstruiert. Manchmal blätterte auch einfach nur
Farbe ab oder waren filigrane Anhängsel geknickt. Auch dafür
gab es immer Lösungen, so dass die Figuren heute wie neu
aussehen.
Gänzlich Neues
Zugegeben, es ging uns bei der Restauration nicht nur um die
Wiederherstellung der Krippe im Originalzustand. Es sollte auch
Neues hinzutreten, um zu zeigen: Diese Krippe bewegt sich nicht
nur; sie ist auch lebendig und bringt gänzlich Neues hervor.
Ein Beispiel ist die Glockengabel, die aus Lindenholz
geschnitzt wurde. Ein Hirte erklärte sich auch sogleich bereit,
die ehrenvolle Aufgabe des Läutens zu übernehmen. Ein Kuhhirt,
der einst die Peitsche schwang, wurde zum Angler umgeschult.
Damit er nicht die Lust verliert, haben wir ihm sogar einen
kleinen Papierfisch an den Haken gehängt. Es ist die erste neue
Krippenfigur, die der Pilgerhäuslverein in die Engelsdorfer
Krippe einfügt. Neu ist auch die Nachbildung der Schwebefähre
über die Neiße. Auf diese Weise verbindet die restaurierte
Engelsberger Krippe Altes und Neues – so wie auch die Krippen
generell eine Brücke von der Vergangenheit ins Hier und Jetzt
schlagen wollen.
Der Hintergrund
Wir wissen leider nicht, vor welchem Hintergrund die
Engelsberger Krippe einst gestanden hat. Üblich waren in dieser
Zeit orientalische Landschaften, um das Weihnachtsgeschehen
authentisch in Bethlehem, also im Alten Orient, zu verorten.
Doch wir wollten auch beim Hintergrundbild neue Wege gehen und
einen Bezug zur interessanten Geschichte der Engelsberger
Krippe herstellen. Deswegen sind alle Orte abgebildet, in denen
sie einst zuhause war bzw. ist. Rechts sehen wir Engelsberg mit
der Kirche „Maria Schnee" und der nahegelegenen Burg
Hammerstein/Hamrstejn. In der Mitte schnauft im Pließnitztal
die Kleinbahn von Kunnersdorf a.d.E. Und ganz rechts steht das
Pilgerhäusl Hirschfelde in Nachbarschaft zu den Kirchen „St.
Peter und Paul" und "St. Konrad von Parzham". Das drei Meter
lange Acrylbild hat der Illusionsmaler Michael Franke aus Eibau
angefertigt.
Beleuchtung und Schutz
Zu guter Letzt
erhielt die Engelsberger Krippe eine professionelle Umhausung.
So ist sie vor Staub und neugierigen Händen geschützt. Außerdem
kann sie von oben indirekt beleuchtet werden. Planung und
Umsetzung des Baus erfolgten durch die zuverlässigen Handwerker
der Firma
Mann2 aus Großschönau.